Schon bevor uns Corona das Lehren und Lernen erschwerte, nahmen Millionen Schülerinnen und Schüler in Deutschland Nachhilfe und lerntherapeutische Unterstützung in Anspruch. Jeder vierte Jugendliche hat im Laufe seiner Schulkarriere mindestens einmal für eine gewisse Zeit professionelle Nachhilfe bekommen. Nach einer Studie im Auftrag der Bertelsmann Stiftung geben Eltern in Deutschland für den Nachhilfeunterricht ihrer Kinder insgesamt zwischen 942 und 1.468 Millionen Euro pro Jahr aus. Das war bis dato unser „Normalzustand“.
Schule unter Pandemiebedingungen: Lockdown – Normalbetrieb – Hybridmodell – Lockdown …
In Deutschland herrscht Schulpflicht, also ein Unterricht in der Schule im Klassenverbund. März letzten Jahres beschlossen alle Bundesländer, zur Eindämmung des neuartigen Coronavirus, die Schulschließung unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen. Die Schulen waren auf ein solches Szenario nicht wirklich vorbereitet. Erst fand für die Kinder und Jugendlichen kein Unterricht mehr statt, dann wurden sie auf unterschiedlichsten Wegen und unterschiedlich intensiv zuhause mit Lernstoff versorgt. Entsprechend der digitalen Versorgung und Kompetenz der Lehrkräfte wurden die Schüler digital gestützt unterrichtet. Drei Monate später versuchte man sich wieder mit „Normalbetrieb“ unter veränderten Vorzeichen und erschwerten Bedingungen oder mit „Hybridmodus“. Den Begriff „Hybrid“ kennen wir aus der Technik, wenn ein Fahrzeug mit zwei verschiedenen Arten von Energie angetrieben werden kann. Der „Hybridunterricht“ sollte Präsenz- und Online-Lernen verknüpfen, um eine Verbindung zwischen Lernen im Klassenverbund oder kleinen Klassengruppen und Lernen im Homeschooling zu verbinden.
Kinder mit Lernschwierigkeiten oder Lernstörungen in diesen besonderen Zeiten.
Das Aus für den konstanten Präsenzunterricht stellt für Kinder mit besonderem Unterstützungsbedarf eine besondere Herausforderung dar.Besonders gefordert sind jetzt Mütter und Väter von Kindern mit Lernschwierigkeiten wie beispielsweise einer Lese-Rechtschreib-Schwäche oder Rechenschwäche oder Aufmerksamkeitsstörung. Sie sind schon in „normalen“ Zeiten über das gesamte Schulalter hinweg deutlich mehr als andere Eltern gefordert, ihrem Kind zu helfen, es zu stärken und zu unterstützen. Gerade in der Phase des Lesen- und Schreibenlernens stehen sie täglich vor der Herausforderung, ihr Kind bei den Hausaufgaben zu begleiten, sowie mit ihm Lesen und Schreiben zu üben, bei oftmals mäßigem Erfolg. Um die schulischen Aufgaben digital bewältigen zu können, muss man fließend lesen und schreiben können. Schon das Einrichten der Computereinstellungen stellt eine Hürde dar. Ein Kind mit Lernschwierigkeiten erstickt in den vielen schriftlichen Anweisungen. Hier sind wieder die Eltern gefordert. Diese sind zunehmend mit der Betreuung ihrer Kinder bei gleichzeitig angesagtem Homeoffice überfordert. Schließlich sind die wenigsten Mütter und Väter, die jetzt als Hilfslehrer arbeiten, geschulte Pädagogen oder Therapeuten.
Studien zeigen, dass sie einer höheren Belastung ausgesetzt sind und vermehrt depressive Symptome und ein geringeres gesundheitsbezogenes Wohlbefinden im Vergleich zu Eltern ohne Kind mit Lernschwierigkeiten oder Lernstörungen aufweisen. Die Kinder und Jugendlichen selbst mit schwerwiegenden Lernproblemen entwickeln nicht selten auch emotionale Probleme wie Ängste, Traurigkeit und Verhaltensprobleme wie körperliche Unruhe, Ablenkbarkeit oder gar Aggressivität. Bei ca. 20 Prozent der in Deutschland lebenden Kinder und Jugendlichen im Schulalter können sogar Hinweise auf schwere psychische Störungen mit Ängsten bis hin zu Depressionen auch begleitet von Verhaltensstörungen festgestellt werden. Bei Mädchen kommt es doppelt so oft vor wie bei Jungen. Diese Zahlen liefern uns das Robert-Koch-Institut, das uns allen seit der Corona-Krise hinlänglich bekannt ist. Diese psychischen Auffälligkeiten belasten die Betroffenen, die Familie und das soziale Umfeld im hohen Maße und stellen eine seelische Gefährdung dar.
Fördermaßnahmen: Wenn schulische Unterstützung nicht mehr ausreicht.
Für diese Schüler ist eine eins-zu-eins-Betreuung über einen gewissen Zeitraum zentrale Voraussetzung für einen gelungenen Unterricht. Die gute Beziehung zu einer Lehrperson und deren physische Anwesenheit sind nach wie vor die entscheidenden Faktoren für den Lernerfolg. Hier sollte möglichst frühzeitig professionelle Hilfe gesucht werden, sei es die Meinung des Hausarztes, des Kinderarztes, eines Psychologen oder eines Lerntherapeuten. Während die Berufsbezeichnung Arzt und Psychologe gesetzlich geschützt ist, ist die Berufsbezeichnung des Lerntherapeuten in Deutschland frei und genießt keinen besonderen Schutz. Qualifizierte und zertifizierte Lerntherapeuten aber sind Mitglied im Berufsverband für Lerntherapeut*innen (BLT). Die integrative Lerntherapie vereint Erkenntnisse aus den Bereichen der Pädagogik, Psychologie, Psychotherapie, Kognitionswissenschaft sowie der Fachdidaktik Deutsch und Mathematik. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Behandlung von Lern- und Leistungsstörungen in den Bereichen der Lese-Rechtschreib-Störung und der Dyskalkulie, sowie Verhaltens- und Aufmerksamkeitsstörungen. Mittels Förderdiagnostik wird eine Begabungsanalyse durchgeführt und ein individuelles Förderkonzept erstellt.
Anders als etwa bei der Nachhilfe wird hier zunächst nicht am aktuellen Schulstoff der Schülerin oder des Schülers angesetzt, sondern am individuellen Entwicklungs- und Leistungsstand. Diese Lern- und zugleich Beziehungsebene beeinflusst sehr behutsam die psychischen Entwicklungsprozesse der Kinder und Jugendlichen und verhilft ihnen zu neuem Zutrauen in ihre Fähigkeiten und zu sichtbaren Fortschritten. Da die messbaren Leistungsdefizite nur die Spitze des subjektiven Eisbergs sind und von weiteren verstärkenden Verhaltensauffälligkeiten begleitet werden, sind neben dem Erlernen von Arbeitstechniken das Training von Bewältigungsstrategien zur Reduzierung der Angst und zur bewussten Steuerung der Aufmerksamkeit sowie die Steigerung der Motivation fundamentale Basis.
Vertrauensvolle Beziehung: das A und O für jeden Lernerfolg
Ein positiver Dialog zwischen allen Beteiligten ist ein bedeutender Faktor für eine Veränderung der Lernstruktur. Dazu zählen in erster Linie Eltern, Lehrer und gegebenenfalls weitere Fachleute. Lehrkräfte können oftmals einen anderen Blick auf ihre Schüler erhalten und auf dieser Grundlage lernen, sie dabei zu unterstützen, die in der Lerntherapie gelernten Lerntechniken auch im schulischen Kontext umzusetzen. Zudem kann ihnen Hilfestellung gegeben werden, differenziert zu unterrichten, Aufgabenformate anzupassen sowie etwaige Nachteilsausgleiche einzuräumen.
Die Gespräche mit den Eltern dienen dazu, die Lernschwierigkeiten genauer erkennen zu können und einen ressourcenorientierten Blick auf ihr Kind zu richten, um dessen Stärken zu erkennen und wertzuschätzen. Je intensiver wir die Eltern in den Prozess einbeziehen, theoretischen Hintergrund vermitteln und sie in ihrer Kompetenz stärken, umso erfolgreicher ist die Arbeit. Dieses zu nutzen, gelingt aber nur, wenn die Interaktion in der Hausaufgaben- und Übungssituation, die die Eltern-Kind-Beziehung meist stark belastet, verändert werden kann. Dazu sollten die Arbeitsvoraussetzungen, Arbeitsplatz und Arbeitsbedingungen optimiert werden. Dieses gemeinsame Erleben entlastet die gesamte Familiensituation.
Corona halbiert Lernzeit und Bewegung und steigert Computerspielen, Fernsehen & Handy
Vor der Coronakrise haben Kinder im Durchschnitt knapp siebeneinhalb Stunden gelernt, sechs Stunden in der Schule und etwa eineinhalb Stunden zuhause. „Während Corona ist die Lernzeit auf dreieinhalb Stunden zusammengeschrumpft“, so Bildungsökonom Ludger Wößmann. Parallel dazu stieg der Medienkonsum bei 45 Prozent, also fast der Hälfte der Schülerinnen und Schüler auf acht Stunden und mehr pro Tag. Über ein Viertel der Jugendlichen bewegt sich seit den Kontaktbeschränkungen nahezu überhaupt nicht mehr. Vor Corona waren es nur fünf Prozent. Der akute Bewegungsmangel, sowohl in der Schule als auch im Freizeitbereich, – untersucht an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am UKM – hat auch großen Einfluss auf das psychische Wohlbefinden von Jugendlichen. Daher ist es gerade jetzt besonders wichtig, dass Sie Bewegung jeglicher Art in den Pandemiealltag integrieren. Gemeinsame Spaziergänge im Wald, am Strand, Laufen oder Fahrradfahren können Sie auch mit viel Abstand, denn Bewegung ist das Tor zum Lernen.