Bei jeder Gelegenheit loben Eltern ihre Kinder und überschütten sie geradezu mit übertriebenem Lob: „Das hast du wunderbar gemacht.“ „Das ist das schönste Bild, das ich jemals gesehen hab.“ Bloß keine Enttäuschungen, bloß keine Niederlagen! Aber gut gemeint ist nicht immer gut gemacht.

Natürlich geschieht das ‚übertriebene‘ Lob in guter Absicht, um das Selbstwertgefühl ihres Kindes zu stärken. Aber wenn alles immer super ist, fehlt das Rüstzeug fürs Leben. Denn auch Verlieren hat seinen Wert. Wer nie gelernt hat, zu verlieren, hat auch nie gelernt, was Anstrengung bedeutet und hatte auch keine Gelegenheiten, intrinsische Motivation zu entwickeln. Das wiederum ist der innere Antrieb, der die Neugierde oder die Bereitschaft weckt, eine neue Herausforderung anzunehmen und sich dann über ehrliche Anerkennung zu freuen.

Besonders moderne junge Eltern sind zunehmend konfliktscheu – vor lauter Sorge -, sie könnten altmodisch oder gar autoritär wirken. Das Selbstbewusstsein ihrer heranwachsenden Kinder ist hoch, deren Frustrationstoleranz niedrig. Jetzt könnte man meinen, ich gehöre ja zu der älteren Generation, die die Faulheit der Jugend beklage. Eine uralte Generationenklage, die die Jungen für verwöhnt und nicht belastbar hält.

Aber aus Sicht von Psychologen und Erziehungswissenschaftlern werden Kinder heute „immer weniger in die Herausforderungen und Ernsthaftigkeit des Lebens hineingeführt“. Stattdessen räumen sie den Kindern jeden Stein aus dem Weg. Doch das hat langfristige Folgen. Kinder verlernen sich anzustrengen, sich durchzubeißen und durchzuhalten. Sie geben viel zu schnell auf, wenn sie nicht sofort Erfolg spüren: bei körperlicher Bewegung, beim Sport, beim Erlernen eines Instrumentes oder in der Schule.

Eltern orientierten sich heute intensiv an ihren Kindern und deren Wünschen und nicht mehr die Kinder an ihren Eltern. Die modernen Eltern wollen Kumpel sein, beste Freunde auf Augenhöhe. Die Folgen dieser ‚Verwöhnungsfalle‘ beobachten Erzieher:innen, Lehrer:innen und Ausbilder:innen täglich. Neuste Forschungen zeigen: Stark überbehütete Grundschüler zeigen Entwicklungsverzögerungen und haben Schwierigkeiten im Sozialverhalten.

Natürlich wünschen wir uns alle für unsere Kinder eine glückliche Kindheit. Doch eine glückliche Kindheit ist nicht dasselbe wie eine niederlagenfreie Kindheit. Der „Wettbewerb“ aber steht unter massiver Kritik, denn allein schon das Wort klingt nach konservativem Konkurrenzdenken und Leistungsdruck. Daher wurden die Bundesjugendspiele reformiert und die Punktetabelle abgeschafft. Bloß keine Stigmatisierung der Kinder, die ‚nur‘ eine Teilnehmerurkunde erhalten, daher wollen wir nicht mehr die Zentimeter zählen, Hauptsache der Ball erreicht eine bestimmte Zone. Man setzt auf Wertschätzung, Sensibilität und Spaß im Sport. Daher hüpfen sie an Berliner Gymnasien jetzt fünfmal auf einem Bein, werfen einen Fahrradreifen und laufen Slalom zwischen leeren Bananenkisten und unterbrechen die Spiele, wenn es anfängt zu regnen, denn die Kinder und Jugendlichen sollten nicht nass werden.

Doch geht es irgendwie nicht auch ums Gewinnen, wenn wir mit dem HSV, Bayern oder Borussia-Dortmund mitfiebern. Aber in der unteren Altersstufen beim Fußball soll flächendeckend auf Meisterschaftstabellen verzichtet werden: Kein Torwart, kein Abseits, kein Einwurf, keine Ecke. Die Bambinis spielen jetzt auf vier Minitore ohne Torwart, keinen Gewinner, aber stattdessen reichlich Tore. Macht das wirklich FUN?

Keine Frage: Spielen ist wichtiger als Siegen, getreu dem Motto: Dabeisein ist alles. Wenn es aber statt Gold, Silber und Bronze im Sport irgendwann nur noch Gold für alle gibt, weil niemand verlieren darf und keiner gewinnen, verlieren unsere Kinder die Chance, über sich selbst hinauszuwachsen. „Das Leben ist kein Ponyhof.“ Es geht dabei nicht um Optimierung, aber Rivalität gehört nun einmal zum Leben: Unter Geschwistern, unter Mitschüler:innen, unter Kolleg:innen. Es geht darum, eine Messlatte für das eigene Können zu finden. Wer Sieger abschafft, schafft auch Verlieren ab. Verlieren aber hat einen ganz eigenen Wert. Frusterlebnisse sind gute Lehrmeister, man sollte sie unseren Kindern nicht gänzlich ersparen, denn langjährige Unterforderung führt später zu Überforderung.

Claudia Boeden

Lerntherapeutin M.A.
& Gymnasiallehrerin

Platz eins für jedes Kind
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