Trotz intensiver Übungen und überdurchschnittlicher Intelligenz erreichen manche Kinder keine altersgemäße Lese- und Rechtschreibfähigkeit. Es fällt ihnen schwer geschriebene in gesprochene Sprache umzusetzen und umgekehrt. Diese Symptomatik zeigt sich oft schon ab dem 2.Schuljahr. Langsames und stockendes Lesen macht jedes Schulfach zu einem Problem. Zum Beispiel beim Lesen von Textaufgaben, beim Zusammenfassen und Wiedergeben eines Textes oder Erarbeiten eines Referates. Ein Teufelskreislauf von Nachhilfe, Stress, Bauch- und Kopfschmerzen, Schulangst, Wutausbrüchen oder Motivationslosigkeit beginnt.
Schriftbild, Aussprache und Bedeutung müssen eine Einheit bilden.
Lesen ist die Schlüsselfähigkeit für den Erwerb von Bildung. Aber Lesen und Schreiben sind komplexe Vorgänge. Dabei müssen eine ganze Reihe von Teilfertigkeiten beherrscht und verknüpft werden. Zunächst müssen die Buchstaben eindeutig identifiziert, als Buchstabenkette zusammengezogen und das Wort als Ganzes erfasst werden. Dazu müssen verschiedene Informationen über Wörter gespeichert sein, die eng miteinander verknüpft sind: (1.) die Orthographie, wie genau wird ein Wort geschrieben (2.) die Phonologie, wie genau wird es ausgesprochen (3.) die Semantik, die Bedeutung eines Wortes. Fehlt eines dieser drei Bausteine, löst es Verwirrung aus, die sich mit zunehmender Textlänge steigert.
Beim Lesen richtet man die Aufmerksamkeit aber nicht auf die Buchstaben, sondern auf die Bedeutung, auf das Verstehen des Gelesenen, man konstruiert die Realität im Kopf. Schaut man auf eine Uhr, so interessiert man sich nicht für das Design der Uhr, sondern für die Uhrzeit.
Legastheniker haben einen anderen Lernstil
Forschungen belegen, dass legasthenische Menschen für die schriftliche Sprachverarbeitung überwiegend die rechte, also die künstlerisch, intuitive Gehirnhälfte benutzen. Jedes gesprochene oder geschriebene Wort gibt sofort Anlass, es in ein inneres Bild umzusetzen. Da sich diese Art des Denkens im Unterbewusstsein abspielt, sind sich die meisten Legastheniker dessen nicht bewusst. Und da beginnt das Dilemma.
Die Schule fordert verstärkt die analytische, linkshirngesteuerte Denkstruktur. Damit sind legasthenische Kinder im Unterricht benachteiligt. Hören, Aufschreiben und Wiederholen durch Lesen führt nicht zu wirklichem Verstehen von neuen Unterrichtsinhalten. Sie können den wesentlichen Zusammenhängen im Unterricht nicht folgen und schalten ab. Das ist ungefähr so, als ob sie ein word-Programm für windows gekauft haben und wollen es auf ihren Apple-PC spielen. Das Programm werden sie nicht zum Laufen bringen.
Jedes Kind kann lesen lernen mit den passenden Lernstrategien
Bei der Informationsverarbeitung müssen beide Gehirnhälften zu einem sinnvoll vernetzt denkenden Tandem verknüpft werden. Der Schlüssel zu erfolgreichem Lesen und Schreiben ist, den bevorzugten Lernkanal eines Schülers anzusprechen, die passenden Lernstrategien einzusetzen und somit die volle Aufmerksamkeit herzustellen. Nur was im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, wird korrekt gespeichert. Das Abspeichern realer Begriffe wie Baum, Elefant, laufen oder groß ist recht einfach. Schwieriger wird es bei Begriffen wie Ewigkeit,heiß oder rechts. Aber was ist die Bedeutung von allein, je, denn, desto oder zwar? Erst wenn wir uns bewusst zu den bildlosen Wörtern oder Lernwörtern Bilder anlegen, um zu verstehen, was sie bedeuten und diese mit dem Schriftbild und der Aussprache verbinden, kann sich die Legasthenie auflösen.